Erweiterungsbau Landratsamt Waiblingen

Wettbewerb 2019 Standort: Waiblingen Bauherr: Landratsamt Rems-Murr-Kreis Beispielhaftes Bauen Rems-Murr-Kreis 2018-2025 Fotografie: Brigida González
  • Holz-Hybrid-Bauweise
  • Photovoltaik-Fassade
  • Recycling-Beton
  • Zertifizierung DGNB Gold

Die neue Erweiterung für das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises ist in vielerlei Hinsicht ein Leuchtturmprojekt. Sie schlägt städtebaulich eine Brücke zum Bestandsensemble und prägt als markantes Bauwerk den Eingang zur Innenstadt von Waiblingen – und das mit bundesweitem Vorbildcharakter.

Mit dem Neubau am Alten Postplatz konzentriert das Landratsamt seine vormals zehn Standorte auf zwei und schafft damit nicht nur organisatorische Effizienz, sondern auch einen ökologischen und sozialen Mehrwert. Die Erweiterung fügt sich harmonisch in die heterogene Bestandssituation ein und bietet auf rund 4.500 Quadratmetern Nutzungsfläche Raum für eine moderne, bürgernahe und zukunftsfähige Kreisverwaltung. Errichtet auf der Fläche eines rückgebauten Parkdecks, stellt das Projekt mit seinem Drei-Zonen-Modell, seiner Holz-Hybrid-Konstruktion und der PV-Fassade einen Paradigmenwechsel im Verwaltungsbau dar: Weg von der Flächenversiegelung – hin zu nachhaltigem, zukunftsgewandtem Bauen mitten in der Stadt.

Als Teil der Gesamtimmobilienkonzeption verfolgt der Rems-Murr-Kreis unter anderem das Ziel, bis 2030 eine klimaneutrale Kreisverwaltung und moderne Amtsstrukturen umzusetzen. Einen zentralen Beitrag dazu leistet das neue Landratsamt in Waiblingen. Dieses ergänzt auf dem Gelände des Hauptstandorts ein seit Ende der 1950er Jahre gewachsenes Ensemble bestehend aus dem Westflügel mit Sitzungssaal, einem Querbau und Hochhaus sowie dem sogenannten Pagodenbau, der in den 1980er Jahren hinzukam. Im Norden des Areals befindet sich außerdem eine historische Villa aus dem frühen 20. Jahrhundert, die als Jugendzentrum genutzt wird. Nach Süden schließt ein Gebäudekomplex der Polizei an. Die jüngste Erweiterung greift als fünfgeschossiger polygonaler Solitär die Baulinien und Fluchten der unmittelbar umgebenden Bauwerke auf und schafft so eine neue städtebauliche Situation mit stimmigen Bezügen und einem repräsentativen Platz, den „Campus Alte Post“.

Drei-Zonen-Modell revolutioniert Verwaltungsarbeit
Das Konzept des Neubaus, bestehend aus vier Obergeschossen plus Attikageschoss und drei Ebenen für die Tiefgarage, folgt einem offenen Drei-Zonen-Modell: Ein lichtdurchflutetes Foyer mit Blick auf den begrünten Innenhof – einem Außenbereich ausschließlich für die Mitarbeitenden – bildet die zentrale öffentliche Zone. Um diese herum befinden sich die halböffentlichen Beratungsbereiche, während die Arbeitsplätze der Verwaltung entlang der Fassaden in heller, angenehmer Atmosphäre liegen. Statt abgeschotteter Zellenbüros bietet das neue Raumkonzept offene, ineinander übergehende Gruppenarbeitsbereiche mit hoher Aufenthaltsqualität. Sichtbare Holzwände, Brettstapeldecken mit integrierten Akustikelementen, schallschluckende Teppichböden sowie gezielt platzierte Akustikpaneele sorgen für eine angenehme, reflexionsarme Klangkulisse. Diese Maßnahmen fördern nicht nur Konzentration und Kommunikation, sondern verbessern nachweislich das Arbeitsklima – was von den Mitarbeitenden ausdrücklich positiv wahrgenommen wird. Die Möblierung ist flexibel konzipiert. Nach Bedarf lassen sich die Gruppenarbeitsbereiche auf maximal 350 Arbeitsplätze verdichten. Die lineare Leitungsführung entlang der Fassaden gewährleistet dabei barrierefreie Nutzung ohne technische Einschränkungen.
Offene Kaffeetheken auf den einzelnen Ebenen sowie eine öffentlich zugängliche Cafeteria im Erdgeschoss laden zum Austausch ein – auch über Abteilungsgrenzen hinweg. Informelle Gespräche, spontane Besprechungen und Begegnungen finden hier in entspannter Atmosphäre statt.

Meilenstein für ökologische Verantwortung
Photovoltaikmodule auf dem Dach sowie elegant in die Fassade integrierte PV-Elemente mit bronzefarben lackierter Glasfront decken den gesamten Strombedarf des Landratsamtes. Ergänzend ist das nach KfW-Effizienzhaus-Standard 40 errichtete Gebäude an das Fernwärmenetz der Stadtwerke Waiblingen angeschlossen. Die DGNB-Zertifizierung in Gold unterstreicht das hohe Niveau der ökologischen und baulichen Qualität.
Der ökologische Anspruch setzt sich in der Konstruktion und der Materialwahl fort. So sind die Obergeschosse als Holzhybridkonstruktion mit Holz-Beton-Verbunddecken ausgeführt. Für den Aufbeton der Brettstapeldecken kam Recyclingbeton zum Einsatz. Die Fassade kombiniert hinterlüfteten Klinker im Sockelbereich mit einer rhythmisierten Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Holz-Aluminium in den Obergeschossen. Horizontale Bänder aus sich abwechselnden Fensterflächen und den nach vorne versetzten PV-Glaspaneelen charakterisieren die Gebäudehülle oberhalb des Sockels.
Multifunktional ist das Dach ausgebildet. Es erzeugt Strom und dient als begrünter, begehbarer Dachgarten. Zugleich fungiert es als Retentionsfläche, die in der Speicherebene Niederschläge puffert und überschüssiges Wasser kontrolliert in die nahegelegene Rems ableitet, unterstützt von Zisternen auf dem Gelände, zur gezielten Entlastung der Kanalisation bei Starkregenereignissen.
Nachhaltigkeit bezieht sich hier jedoch auch auf die gesundheitliche Verantwortung. Alle verbauten Materialien wurden baubegleitend durch Baubiologen geprüft und freigegeben. Das Ergebnis ist ein spürbar gesundes Raumklima ohne wahrnehmbare Ausdünstungen. Stattdessen empfängt ein angenehmer Duft nach Holz die Nutzerinnen und Nutzer des Landratsamtes.
Auch das Mobilitätskonzept des Hauses ist konsequent ökologisch gedacht: Neben 160 Fahrradstellplätzen stehen Dusch- und Umkleideräume zur Verfügung – ein ausdrücklicher Wunsch des Bauherrn, Landrat Dr. Richard Sigel, um die Nutzung des Fahrrads im Berufsalltag aktiv zu fördern. In der Tiefgarage ermöglichen darüber hinaus 100 Ladepunkte den Betrieb elektrischer Fahrzeuge, auch zur öffentlichen Nutzung. So wird Nachhaltigkeit nicht nur gebaut, sondern gelebt.

Bundesweit beachtet
Die Innovationskraft des Projekts insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsumgebung eines modernen Verwaltungsbaus bleibt nicht unbeachtet. Bereits vor der offiziellen Eröffnung haben sich über 50 Delegationen aus dem gesamten Bundesgebiet den Neubau angesehen, um sich über das Drei-Zonen-Modell, die Bauweise und das umfassende Nachhaltigkeitskonzept zu informieren. Der Neubau des Landratsamts Rems-Murr-Kreis ist damit nicht nur ein Gebäude – sondern ein zukunftsweisender Prototyp für eine moderne Verwaltungskultur im 21. Jahrhundert.

Sanierung des Bestands mit Kunst am Bau
Auch die Kernsanierung des Kreishauses aus den 1950er Jahren im Westen des Areals gehörte zu unseren Aufgaben und ist Teil einer sukzessiven Modernisierung der bestehenden Amtsgebäude. Der Sitzungssaal mit einem markanten, raumhohen Kunst-am-Bau-Werk von Roland Dörfler bildet das Herzstück des Landratsamtes. Für dessen Sanierung griffen die Planenden auf Stilmittel der Entstehungszeit und die ursprüngliche Charakteristik zurück, die sie neu interpretierten. Dabei konnte auch dem Brandschutz, der Belüftungssituation, der Barrierefreiheit und einer modernen medialen Ausstattung Rechnung getragen werden. Insgesamt sieben multifunktionale Sitzungs- und Besprechungsräume umfasst nun der Bestand, dessen Nordfassade ein Mosaik von Hans König schmückt. Der sich anschließende sogenannte Querbau wurde ebenfalls bereits saniert, während die Planungen für das Hochhaus und in weiterer Zukunft den Pagodenbau noch ausstehen.